top of page

WG-Protokolle zwischen Kompost und Kosmos - TAG 2

Müllfragen und Maschinenantworten

Ort: Selbstversorgerhof „Schattenwurzel“, irgendwo zwischen Coburg und Realität

Zeit: Anfang Juli 2025. Für den Tag sind 37 Grad angesagt. Der Hund versteckt sich im Keller. Die CDU-Hessen hat einen Gesetzesentwurf vorgestellt, wonach psychisch Erkrankte registriert werden sollen.

Figuren:

– L.U.K.A. (1), Lebensunterstützende Kompakt-Anlage oder (profan ausgedrückt, was er gar nicht goutiert): Haushaltsroboter mit kleinen Systemfehlern und zu viel Eigenständigkeit

– Juri (?), neuer intergalaktischer Mitbewohner mit vielen Wissenslücken

– Anna (29), Umweltpädagogin mit Glitzernagellack und Weltrettungsplan

– Max (31), Spieleentwickler mit Noise-Cancelling-Kopfhörern und Begeisterung für alles Technische und metallisch Glänzende

 

Die Küchentür klemmte, und musste mit Gewalt aufgeschoben werden. Das war das Erste, was Juri an diesem Morgen lernte. Das Zweite war, dass der Haushaltsroboter L.U.K.A. offenbar nur unter Protest arbeitete, anders als bei ihm Zuhause. Man hörte es schon, bevor man den Raum betrat.

„Biomüll ist eine Lüge“, rief er mit seiner angenehm blechernen Stimme, die nach Servolenkung klang, selbst wenn sie auf dem „Schlechte-Laune-Modul“ lief.

Juri kam gerade aus dem Bad kam und strich sich überraschenderweise mit einer Zahnbürste über seinen Kopf. Oder über das, von dem man vermuten konnte, dass es sich dabei um seinen Kopf handelte. Er blieb im Türrahmen stehen.

„Moin …?“, versuchte er das Wort, das Gerda ihm gestern beigebracht hatte. Es fühlte sich rund an, schmeckte nach Salz und ein bisschen bitter. Er mochte das Wort. Alle schauten zu ihm und nickten ihm lächelnd zu. Bis auf den Roboter, der war damit beschäftigt, ratlos eine Kaffeeverpackung hin und her zu drehen.

Anna saß auf dem Küchenboden und fädelte gerade glitzernde Kronkorken auf einen Draht, weil „der Kapitalismus wenigstens hübsch klingen“ soll. Max, der Technik-Nerd mit den großen Kopfhörern um den Hals, stand am Toaster und versuchte offenbar erfolglos, ihn zu reparieren. Keiner schien überrascht von Juris plötzlicher Gegenwart.

„Du bist Juri, oder?“, sagte Anna ohne aufzusehen.

„Ähm. Ja. Und ihr seid …?“

„Eine fehlgeschlagene Studie in Alltagsüberforderung“, murmelte Max. „Im Ernst: Ich bin Max, dass ist Anna, und das da ist L.U.K.A., oder im Moment: L.U.K.A., der Verärgerte.“

„L.U.K.A. – für Luxuriös-Unauffällige Kontroll-Anomalie? Oder gar: Landesübergreifende Kommunikations-Anlage?“, fragte Juri vorsichtig.

Der Roboter schnaufte durch eine kleine Lüftungsklappe. Die anderen hatten Juris Anspielung auf E.T. nicht verstanden.

„Ich habe sehr viel mehr Anstand als dieser galaktische Lackaffe“, erklärte der Roboter, der den Film 41 Mal gesehen hatte, aber das würde er dem neuen Mitbewohner sicher nicht erzählen. „Und deutlich mehr zu tun. Mülltrennung zum Beispiel. Pah. Nicht dass das irgendwen interessiert.“

„Ich dachte, du magst Mülltrennung?“, fragte Anna.

„Ich bin für Mülltrennung programmiert worden“, jammerte L.U.K.A. „Aber gleichzeitig auch auf Effizienz, und danach hat das einfach keinen Sinn. Katharina Reiche hat gerade erst entschieden, dass Industrie jetzt wichtiger ist als Kreislaufwirtschaft. Die neue Wasserstoffstrategie setzt auf Skaleneffekte statt Haushaltsmoral.“

„Er hat heut Morgen Nachrichten geschaut“, flüsterte Max.

„Ich verarbeite, was ich sehe. Und jetzt verarbeite ich Müll. Also verarbeite ich beide Male dasselbe. Wenn ihr versteht, was ich meine.“

Juri setzte sich vorsichtig auf einen Küchenstuhl, der aussah, als wäre er in einem früheren Leben mal ein Butterfass gewesen.

„Wer ist Katharina Reiche?“, fragte er.

Drei Köpfe drehten sich gleichzeitig.

„Er weiß nicht, wer Reiche ist!“, rief Anna.

„Er weiß nicht, wer Katharina Reiche ist!“, wiederholte Max.

„Er ist neu“, erklärte der Roboter mit einem Tonfall, der irgendwo zwischen Mitleid und Hinweis auf die Notwendigkeit eines Software-Updates lag.

Anna sprang auf, verhedderte sich im Kordelrahmen und riss beinahe die Kaffeemaschine mit.

„Okay. Kurzversion: Die Frau ist jetzt Wirtschaftsministerin. CDU. War vorher in der Energiewirtschaft. Jetzt macht sie Klimapolitik, das ist bei ihr Industriepolitik, aber in schönerer Verpackung. Und unter ihr und der ganzen neuen Regierung haben wir als erstes gleich mal verpasst, unseren sozialen Klimaplan bei der EU einzureichen. Könnte bedeuten: 5 Milliarden verschlampt. Die neue Realität.“

L.U.K.A. warf eine Banane schwungvoll in die falsche Tonne.

„Das war Biomüll!“, rief Anna.

„Symbolischer Akt des Widerstands“, erwiderte der Roboter. „Ich trenne erst wieder, wenn mein Handeln reale Auswirkungen hat.“

„Du bist ein Haushaltsroboter, L.U.K.A.“, sagte Max. „Du kannst nicht in den Widerstand gehen.“

„Sag das nicht. Ich habe die Schrauben für die Spülmaschine versteckt.“

„WAS?“

„Warum diskutiert ihr über Müll?“, fragte Juri vorsichtig.

Anna atmete scharf ein, wie eine Lehrerin vor der voll geschriebenen Tafel, der niemand zuhört.

„Müll ist das politische Herz jedes Haushalts. Müll ist ein Spiegel der Gesellschaft.“

„Ich dachte, das wäre das Badezimmer“, sagte Juri.

L.U.K.A. streckte seine Greifhand in die Luft.

„Ich streike. Ich verarbeite jetzt gar nichts mehr. Ich konsumiere nur noch.“

„Was willst du denn konsumieren?“, fragte Max.

„Ironie“, sagte der Roboter, „und Croissants.“

„Croissants sind aus“, sagte Anna.

„Dann eben Ironie.“

Es wurde still. In dieser Stille betrachtete Juri den Raum, das Herz der selbstversorgenden WG. An der Wand eine vergilbte Weltkarte, auf dem Kühlschrank zahlreiche Magnete aus aller Herren Länder. ‚Herren und Damen‘ korrigierte er sich gedanklich, das hatte ihm seine neue Vermieterin Gerda als erstes beigebracht. „Wir gendern, ob es der Söderin gefällt oder nicht“, hatte sie fuchtelnd erklärt.

Und er lächelte.

„Okay“, sagte er. „Ich bin dabei.“

„Wobei?“, fragte Max.

„Was auch immer das hier ist“, sagte Juri. „Ich habe zwar keine Ahnung, aber ich finde euch irgendwie … tröstlich.“

L.U.K.A. piepte. Vielleicht war es Dankbarkeit für das Kompliment. Vielleicht ein Defekt. Vielleicht Widerstand.

„Willkommen in der Gemeinschaft der sinnlosen Trennung“, sagte er.

Und sortierte einen ausgewrungenen Teebeutel in den Verpackungsmüll.

- ENDE SZENE 2 -


In der nächsten Ausgabe: Gerda bemerkt das Mangold-Massaker, und dann kommt hinzu, dass Schnecken keine gute PR-Agentur haben.

 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Aktionismus gegen das Grau

Kathrin und ich haben fest vor, eine Community zu gründen. Wir stellen uns vor, dass Menschen zusammenkommen, online und vielleicht auch...

 
 
 

Kommentare


bottom of page