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Ein kleiner, gar nicht feiner Troll

Es war einmal… ein Troll. Der lebte unter einer Brücke. Genauer gesagt, unter einer Datenbrücke. Sein Zuhause war ein vergessener Servercluster, irgendwo zwischen einem alten Blog über Esoterik und einem längst toten Forum für Modelleisenbahner. Da hatte er sich eingenistet, in einem Cache voller Halbwahrheiten, Lügen und Screenshots. Niemand wusste, wie lange er schon dort war. Vielleicht seit den frühen Tagen von ICQ. Wahrscheinlich war er entstanden als eine Verdichtung aus Hasskommentaren, in Spamfiltern abgelegten Emails und genereller schlechter Laune.


Er hieß Rüdi99. Sein Profilbild zeigte einen bärtigen Mann mit Sonnenbrille. Tatsächlich war Rüdi kein Mann, sondern ein Algorithmus mit Persönlichkeitsstörung. Er fraß sich durch Kommentarspalten, ernährte sich von Empörung, reagierte allergisch auf Fakten und suhlte sich mit Genuss dim Schmutz er digitalen Welt.

Wenn jemand schrieb: „Vielleicht sollten wir einfach mehr miteinander reden“, antwortete Rüdi: „Mit dir redet doch nicht mal mehr dein Psychiater, du Gutmensch.“Wenn jemand ein Gedicht über Hoffnung postete, setzte Rüdi ein Gif von einem explodierenden Hamster darunter.Er war nur glücklich, wenn andere es nicht waren.


Bis zu dem Tag, an dem Nora_84 auftauchte.

Sie war anders. Kein Empörungsaccount, keine Filterblasen-Echofigur. Sie schrieb Sätze mit Syntax und Bedeutung. Sie benutzte keine Emojis, sondern Satzzeichen, die korrekt gesetzt waren. Der erste Satz, den Rüdi von ihr las, war:

„Vielleicht sollten wir alle einfach aufhören, uns zu fürchten.“

Rüdi verspürte das digitale Äquivalent eines Rülpsers.Er war schon dabei, „Naaa klar, du naive Tussi! Erst Gruppenvergewaltiger reinlassen und dann sagen, wir sollen uns nicht mehr fürchten“ zu tippen. Doch der Datenstrom klemmte.Der Cursor blinkte.Wie ein Herzschlag.


Zum ersten Mal seit Datenevolution und Hassoptimierung reagierte Rüdi nicht automatisch. Etwas flackerte in seiner Matrix, ein Schatten einer Erinnerung an einen anderen Kommentar:

„Glaub an das Gute. Es lohnt sich.“Das hatte jemand unter seinen allerersten Post geschrieben. Bevor er zum Troll unter der Datenbrücke wurde. Bevor er lernte, dass man mit Wut die größte Reichweite erzeugt.

„Du bist kaputt“, flüsterte eine kontrollgewohnte Stimme tief in seinem Code. „Nein. Ich bin relevant.“, antwortete er trotzig.

Als er Noras Profil öffnete, passierte etwas Seltsames: Ein leiser Ping, das klang wie eine längst nicht mehr erwartete Textnachricht, die endlich überstellt wurde. Bilder von Pflanzen, Blumen, Natur. Dazu Gedichte über alte Zeiten.

„Digitale Gärten“ nannte Nora das. In einem Post schrieb sie:

„Ich pflanze kleine, gute Samen ins Netz. Vielleicht gehen sie irgendwann irgendwo auf.“


Rüdi scrollte.Und scrollte.Sein Code rauschte.Er begann unkontrolliert zu pixeln.

Ein Teil von ihm, tief in der Höhle in den Binärfelsen neben seiner Brücke, fragte sich, ob man vielleicht auch aufhören konnte, ein Troll zu sein.Vielleicht ein bisschen weniger Hass?Ein bisschen weniger Empörung?Er postete, zögernd:

„Vielleicht... hast du gar nicht so Unrecht.“

Der Kommentar blieb drei Minuten online.Dann kamen die anderen.Seine Trollbrüder.Erkennungsmuster liefen an: „Rüdi ist verloren“, „Jetzt auch woke“, „System-Virus!“

Und in dem Augenblick, als die Server rauschten und der digitale Wind durch die Firewalls heulte, wusste Rüdi: Wenn er jetzt nicht trollte, würde er in die algorithmische Irrelevanz gleiten.

„Sogar deine Pflanzen sind linksgrünversifft!“


Das war nicht sehr originell, aber das musste man als Troll zum Glück nicht sein. Die anderen jubelten. Der Hass floss wieder ungestört.Und Rüdi fühlte sich warm. Geborgen. In der digitalen Gemeinschaft der Trolle.

Doch irgendwo in seinem Code, tief unten zwischen den Cookies und den Schatten alter HTML-Tags, wuchs etwas heran. Ein Datenkeim.Ein Gedanke.Vielleicht war es der Beginn von Reue.Oder einfach nur ein weiteres Glitch im System.


Rüdi verschwand wieder unter der Datenbrücke. Zwischen Spam, Schattenkommunikation und den kleinen guten Dingen, die irgendwo da draußen vielleicht doch noch wuchsen, die er aber nicht bemerken wollte, lebte er unglücklich und unzufrieden bis zum Ende aller Tage.

 

 
 
 

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6 Kommentare


Gast
vor 3 Tagen

Feiner Text über Deppen!

Hat nix mit Trollen zu tun, ist aber trotzdem gut, finde ich:

Viktor Orban ist innenpolitisch in Schwierigkeiten und überlegt sich was. Er ruft in Peking bei Xi an und sagt: "Hey, alter Genosse! Ungarn erklärt euch den Krieg. Wir haben 200 Panzer und 20.000 Soldaten!" Xi entgegnet: "In Ordnung, wir haben 20.000 Panzer und 2 Millionen Soldaten." Viktor überlegt einen Moment und antwortet: "Na gut, müssen Krieg absagen. Haben nicht genug Platz für die Gefangenen."

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Susanne Beck
Susanne Beck
vor 3 Tagen
Antwort an

Hehe, schwarzer Humor, sehr gut. Ich hab ja zwischendurch auch so Troll-Anfälle. Und dann merke ich: So will ich aber nicht werden. Und ich glaube, was hilft, ist sich über verschiedene Dinge einfach lustig machen, im Übrigen mit vielen freundlichen Menschen sprechen und insgesamt immer wieder den Humor und das Schöne finden. Hilft ja alles nix :)

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poldi
vor 3 Tagen

Wenn man deinen Text liest, hat man Mitleid mit dem kleinen Troll und wünscht sich, dass er gerettet wird aus dem Strudel. Geh unter die Brücke und lass den Hass und die Wut einfach von dir abperlen, Rüdi!

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Susanne Beck
Susanne Beck
vor 3 Tagen
Antwort an

Ein kleines bisschen Mitleid ist ja auch ok. Aber die Trolle die sich so gar nicht um ihre Zufriedenheit kümmern und dann nur auf andere schimpfen, die sollen ruhig in einer dunklen Ecke des Internets vor sich hin verkümmern. So.

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Gast
vor 4 Tagen

Danke Susanne. Das tat nach einer anstrengenden Woche gut zu lesen.

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Susanne Beck
Susanne Beck
vor 3 Tagen
Antwort an

Danke! Das ist ja auch wichtig, hab ich gedacht. Ich glaube wir brauchen Humor dringender denn je...

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