WG-Protokolle zwischen Kompost und Kosmos - TAG 1
- Susanne Beck
- 1. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Tag 1: Kontaktaufnahme im Tomatenbeet
Ort: Selbstversorgerhof „Schattenwurzel“, irgendwo zwischen Coburg und Realität
Zeit: Juni 2025. Es ist heiß. Der Hund hechelt. Jeff Bezos heiratet.
Figuren:
– Gerda (78), Ex-Bibliothekarin, mit strengem Blick und Spaten
– Loki (7), ihr Hund, kleiner Puschel mit großem Ego
– ??? (?), noch namenloses Wesen, aufgefunden zwischen Ochsenherztomaten
Gerda hockte voll ausgestattet vor dem Beet: mit Sonnenhut, Handschuhen, Harke, und der unverrückbaren Entschlossenheit, wenigstens ihre Tomaten in den Griff zu bekommen, wenn schon die Welt zerbröselte wie zu trockene Butterkekse.
„Loki! Nicht auf die Karotten! Das ist lokale Agrarpolitik, kein Hundeklo!“
Loki ignorierte sie, schleuderte Erde hinter sich und rollte sich dann schnaufend neben dem Kompost zusammen. Es war einer dieser Tage, an denen selbst der Wind zu schwitzen schien. Die Nachrichten aus dem tragbaren Radio tönten über das Hofgelände:
„Jeff Bezos wird heute unter massivem Protest von Umweltaktivisten in Venedig heiraten. 97 Privatjets landeten…“
Gerda schaltete das Radio ab. 97 Privatjets. Ihre Generation war mit einem einzigen VW-Käfer durch drei Jahrzehnte Ehe gefahren. Dann schaltete sie es wieder an, sie wollte ja informiert bleiben.
Sie griff in Richtung eines Löwenzahns, der hier nichts verloren hatte, und stieß auf etwas Hartes. Oval. Warm?
„Was zur …?!“
Mitten im Beet, verborgen hinter den dichten Buschtomaten, saß ein Wesen. Glänzend. Mit vier Augen – zwei davon am Ende eines Tentakels, wie bei einer Schnecke. Nur aus einem anderen Stoff.
Gerda sagte nichts. Nicht, weil sie schockiert war, sondern weil sie kurz überlegte, ob das ein neuer Gag ihrer jungen Mitbewohner war. Sie hatten schon mal den von Emil, dem Robotik-Freund ihrer Mitbewohnerin Anna, selbst gebauten Haushaltsroboter in ihrem Schrank versteckt. Aber der hier … wirkte anders. Lebendig. Oder waren Emils Roboter inzwischen so erschreckend gut?
„Muss das sein, dass du dich hier ohne Vorwarnung versteckst?“ fragte sie streng.
Das Wesen hob den Kopf.
„Tomatenpflege ist auf meinem Planeten heilig“, sagte es. „Ich wollte nur eure Pflanzen bewundern.“
„Aha.“
„Außerdem,“ fuhr das Wesen fort, „ist dies die friedlichste Zone, die ich innerhalb von 18.432 Quadratkilometern finden konnte. Keine Sirenen, kein Straßenlärm, keine sinnlosen Diskussionen.“
Gerda zog die Gartenharke näher an sich. Nicht um das Wesen zu bedrohen. Nur … vorsichtshalber.
„Was genau bist du? Ein Haushaltsroboter auf Ketamin? Ein KI-Versuch von Musk gone rogue?“
„Ich bin Juri. Vom Planeten Polychronia. Im Exil. Lange Geschichte.“
„Alle haben hier lange Geschichten“, murmelte Gerda. Dann lauter: „Also, Juri. Ich bin Gerda. Ehemals Bibliothekarin. Jetzt Hühnerhalterin. Ich wohne hier mit einigen von der Realität zerknitterten Idealisten, dem Hund Loki und einem Haushaltsroboter, auf einem Hof, der nie wirklich bewilligt, aber schon eine Weile geduldet wurde.“
„Perfekte Bedingungen.“
„Für was genau?“
„Für Forschung. Aufklärung. Und vielleicht für Marmelade.“
Gerda betrachtete ihn eine Weile. Dann nickte sie. Sie hatte schon schlimmere WG-Bewerbungen erlebt.
Aus dem Radio klang derweil:
„… unterdessen wurde heute in Minnesota die Beerdigung der Demokratin Melissa Hortman und ihres Ehemanns Mark abgehalten, die vor zwei Wochen von einem MAGA-Anhänger ermordet wurden. Gilbert, der Hund der Familie, hatte noch versucht, sie zu retten und wurde dabei ebenfalls erschossen. Seine Urne war neben ihnen aufgebahrt. Ex-Präsident Biden und Kamala Harris machten ihre Aufwartung. Präsident Trump erklärte nur in einem Interview, sich bei Governor Walz hierzu zu melden, sei reine Zeitverschwendung…“
„Weißt du was, Juri?“ sagte Gerda und stand ächzend auf. „Die Welt spinnt. Du kriegst ein Gästezimmer. Aber wenn du mit irgendwas das Klo verstopfst, fliegst du raus. Intergalaktisch.“
Juri verbeugte sich.
„Darf ich dem Hund etwas sagen?“
„Wenn du keine Angst vor Abschleckung hast.“
Juri beugte sich zu Loki, der ihn mit offenem Misstrauen fixierte.
„Ich werde dir nichts weg essen. Ich bin nur gekommen, um Fragen zu stellen.“
Loki schnaufte. Dann stieß er auf. Ein leises Geräusch ohne jede Aussagekraft.
Gerda nickte anerkennend.
„Er hat dich akzeptiert.“
- ENDE SZENE 1 -
In der nächsten Ausgabe (wahrscheinlich): „Haushaltsroboter verweigert die Mülltrennung aus politischen Gründen“
Hallo. Mir geht es wie Charly: Hätte noch weiterlesen mögen. Witzig, unterhaltsam - Humor gegen die Verzweiflung. Geht voll auf, finde ich.
Habe soeben der Geschichte ersten Teil gelesen, von Gerda und ihrem Hund Loki und dem fremden, zutraulichen Wesen aus dem All. Sehr schöne Geschichte, witzig geschrieben, hätte ewig weiterlesen können. Freue mich sehr auf eine Fortsetzung!