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Wer wird als Nächstes ausgemerzt?

Am Wochenende stellte sich der Bundeskanzler vor die Kameras und sprach einen Satz, der so unscheinbar klingt, dass man ihn fast überhören könnte:

Warum gehen Menschen, die für 532 Euro arbeiten, nicht einfach für 2000 Euro arbeiten, fragt er. Höhnisch oder verblendet, man weiß es nicht genau.


Da er damit wohl nicht eigenhändig mal den Mindestlohn auf 2000 Euro (Brutto? Netto? Kennt er den Unterschied?) erhöhen wollte, müssen wir uns fragen: Ist das einfach Dummheit? Ein Versprecher, eine peinliche Entgleisung? Oder steckt darin eine Strategie, mit der ganze Lebensrealitäten ausgelöscht werden?


Wir kennen diesen Ton inzwischen aus den USA: Die Schwachen sind schuld daran, dass sie schwach sind. Die Armen, dass sie arm sind. Die Kranken, dass sie krank sind. Das alte Märchen des Liberalismus, der in Wahrheit längst ein autokratischer Liberalismus geworden ist: Freiheit gibt es nur für die, die sie sich leisten können.

Und wir? Wir sitzen daheim, scrollen, runzeln die Stirn, vielleicht ein kurzer Aufschrei in den Kommentarspalten. Warum sind wir nicht auf der Straße? Warum lassen wir zu, dass sich Sprache, Haltung und Politik so schleichend verschieben? Ich weiß auch keine Antwort.


Ich frage mich, was schlimmer ist: die Gedankenlosigkeit, die sich so tief in die Regierungssprache gefressen hat, oder die Berechnung, mit der man bewusst auf Spaltung setzt. Wer so redet, hat längst aufgehört, in Kategorien von Gerechtigkeit oder Verantwortung zu denken. Es geht nur noch um Macht, um Nach-Unten-Treten, um Kampf.


Und was macht die SPD? Sie sitzt daneben, sie nickt stumm, sie hofft, noch etwas von der Koalition zu retten. Aber sie rettet nichts. Wenn sie jetzt nicht aufsteht, wird sie totgetrampelt, denn beim Nach-Unten-Treten ist sie mitgemeint.

Aus meiner Sicht ist es – leider – so: Diese Koalition hat ihre Grenze überschritten. Wer jetzt noch schweigt, macht sich mitschuldig. Wer mitmacht, akzeptiert diese Sprache, dieses Tun.


Wir stehen an einem Punkt, an dem die Union ihr wahres Gesicht zeigt: rechts blinken, autoritär abbiegen, in der Sackgasse landen. Begleitet vom Applaus der Hetzer und Lobbyisten.


Wollen wir das geschehen lassen? Wollen wir irgendwann aufwachen und feststellen, dass wir ein Land geworden sind, in dem Empathie, Solidarität, Demokratie als Schwächen gelten?


Noch ist es nicht zu spät. Aber nur, wenn wir nicht länger schweigen. Wenn wir nicht länger hoffen, dass es schon jemand anderes richten wird. Es liegt an uns, Nein zu sagen. Aufzustehen. Zu widersprechen.


Denn solche Sätze darf man nicht hinnehmen. Niemals.

 

 
 
 

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2 Kommentare


Marlene Klaus
Marlene Klaus
10. Sept.

Ich lese deinen Text, spüre dich darin und denke: oh Göttin ja, sie hat ja so Recht! Und stehe doch wieder vor der Frage: Was, was nur, soll ich tun? Was kann ich tun? Liebe Grüße. Marlene

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Susanne Beck
Susanne Beck
11. Sept.
Antwort an

Das geht mir heute morgen wieder so, wenn ich Spahns Ausrede dafür lese, warum er sich nicht mit den Grünen und der SPD zur Besprechung eines AfD-Verbots trifft. Der bereitet das alles wirklich vor. Aber wir haben jetzt ja zumindest unsere Community und können da gemeinsam überlegen. Komm doch in die Werkstätten "Aktivismus" etc.?

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