Eine Woche Ausnahmezustand
- Susanne Beck
- 24. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Ich hatte nicht geplant, Teil dieser Geschichte zu werden. Dahinter steckte keine wohl überlegte Entscheidung, sondern nur die Gewissheit, nicht schweigen zu können. Wir, d.h. zwei Kollegen (Stefan Huster und Alexander Thiele) und ich, waren, wie so viele, fassungslos über den Umgang mit unserer Kollegin Frauke Brosius-Gersdorf, die nach einer orchestrierten Hetzjagd und der abgesagten Wahl zum Bundesverfassungsgericht plötzlich Morddrohungen erhielt. Deren Ansichten völlig verzerrt und deren untadelige Reputation in den Dreck gezogen wurden. Bis hin zu Forderungen, ihre Universität solle etwas gegen sie unternehmen. Adressatin all dieses Schmutzes war eine Kollegin, die ich in den Jahren der Zusammenarbeit als durch und durch integer, klug und hart arbeitend kennengelernt habe, die zweifellos mehr von der Verfassung verstand als alle, die diese Schmutzkampagne gestartet haben, zusammen.
Also verfassten wir einen offenen Brief, um deutlich zu machen: Es reicht! Frauke Brosius-Gersdorf hatte das schamlose Ausmaß an Verleumdung, Verzerrung, Misogynie, das sich über sie ergoss, nicht verdient. Schnell trudelten anschließend die ersten Unterschriften ein, innerhalb eines Tages fast dreihundert, Stand heute über dreihundertfünfzig. Der Ärger über das, was passiert war, aber auch die Angst um unserer Demokratie, schien in vielen von uns zu schlummern. Vielleicht wurde der Brief so auch zu einem Ventil in einer Zeit, in der der Dauerschock über das öffentliche Klima sich zu einem dumpfen, lähmenden Hintergrundrauschen entwickelt hatte.
Dann wurde es unübersichtlich. Medienanfragen. Interviewtermine. Kolleg:innen, die anriefen. Menschen, die sich bedankten. Andere, die seltsame, beunruhigende Nachrichten schickten, mich nun als Mörderin beschimpften. Tagesschau24. Hintergrundgespräche. Und plötzlich war ich nicht nur Beobachterin, sondern für einen kurzen Moment Teil einer öffentlichen Debatte. Kurz schmeichelte es meiner Eitelkeit, doch schon in der nächsten Sekunde strengte es mich an, denn das hieß auch, mich zurückzunehmen. Ich wollte der Kollegin auf keinen Fall schaden. Schon nach zwei Tagen wusste ich, dass diese Welt der Politik, der Intrigen, der gegenseitigen Manipulationen, nichts für mich wäre. Keine 24 Stunden hätte ich ausgehalten, was Frauke Brosius-Gersdorf erdulden musste.
Es waren Tage, in denen ich mich nur ein bisschen mutig, vor allem aber fehl am Platz in der Welt fühlte. Ich lehre, schreibe, diskutiere. Ich suche nach Zwischentönen. Was sich jetzt entfaltete, war etwas anderes: ein Kommunikationsraum, in dem sich nur noch Extreme gegenüberstanden: Die „linke Blase“. Die „politische Justiz“. Die „übergriffige Wissenschaft“. Alles so vorhersehbar wie gefährlich, denn: Das sind meines Erachtens keine Debatten, auf denen man eine funktionsfähige Demokratie bauen kann.
Eine Ausnahme war ein längerer Videopodcast: Bei ars boni sprachen wir mit unserem Kollegen Nikolaus Forgó in aller Ruhe über das, was uns umtreibt, und mir wurde bewusst, wie viele Themen, die uns derzeit alle beschäftigen, in diesem Fall zusammenkommen: Sexismus, Wissenschaftsverachtung, autoritäre Sehnsucht, performative Empörung, eine überforderte Öffentlichkeit.
Und Politikverdrossenheit: Auch wenn ich sie niemals wählen würde, hatte ich gehofft, die Union könne die AfD vielleicht doch aufhalten. Aber nun hatte ich den Eindruck von einer Regierung, die weder führen noch einen will. Eine Union, die keine Haltung zeigt und immer weiter auf den "fundierten" Vorbehalten gegen Frau Brosius-Gersdorf besteht (trotz eigenen massiven Fehlverhaltens).
Es war ein gutes Gespräch mit den Kollegen. Aber am Tag danach war es schon wieder übertönt vom nächsten Interview eines Union-Politikers, der vom Opfer der Hetzkampagne Demut forderte und jede Verantwortung von sich und seiner Partei fortschob. Und unser Brief? Ignoriert, jedenfalls von der Union. Die über 350 Stimmen aus Wissenschaft und Justiz existierten für diese Partei einfach nicht. Man muss nicht autoritätshörig sein - aber ein völliges Ignorieren?
Auch aufgrund einiger Telefonate und Gespräche begann ich in dieser Woche zu begreifen, wie der Apparat funktioniert. Mein Eindruck: Es geht um Posten. Um Machterhalt. Ich sah in dieser Woche, wie die Partei tickt. Ich sprach mit Menschen, die es erleben. Es geht zumindest einigen darin nur noch um das „Wie“ der Macht. Nicht mehr um das „Warum“.
In der Zwischenzeit bekamen wir Nachrichten von jungen Wissenschaftler:innen, die sich fürchteten, weiterhin unbefangen zu forschen. Von Studierenden, die sich in ihren politischen Sorgen vor dem Rechtsruck bestätigt fühlten. Von Richter:innen, die sich bedankten. Es war ein kleiner Resonanzraum. Aber er war echt. Und notwendig.
Ich frage mich heute, mit etwas Abstand, was diese Woche gebracht hat. Ob unser Brief irgendetwas verändert hat an der Debattenkultur oder zumindest ein wenig zum Nachdenken angeregt hat. Ich hoffe, er hat meine Kollegin gestärkt, denn das war das Wichtigste. Sie hat verdient, zu wissen, dass wir alle hinter ihr stehen.
Vielleicht waren diese Tage ein Anfang. Vielleicht waren sie ein letztes Aufbäumen. Aber sie waren auch etwas anderes: eine Erfahrung. Ein Erkennen. Eine Grenzverschiebung.
Im Moment bin ich erschöpft. Ich bin wütend. Aber ich bin auch klarer geworden.
Bei allem Frust, aller Wut, allem Unverständnis habe ich neben der Realität der aktuellen Politik auch etwas anderes gesehen. Ich habe erlebt, was entsteht, wenn Menschen nicht länger zuschauen. Wenn sie handeln. Wenn sie nicht vorher fragen, ob es Erfolg bringt, sondern ob es überhaupt eine Alternative gibt, als nicht zu schweigen.
Und vielleicht liegt darin, trotz allem, ein kleiner Trost. Oder ein Anfang.
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