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Die Unverzeihlichkeit weiblicher Meinung

Die F.A.Z. hat diese Woche geleakt, dass Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin gewählt werden könnte. Eine Nachricht, die in jeder gut funktionierenden Demokratie eigentlich leise, respektvoll und mit einem gewissen Maß an Stolz aufgenommen werden müsste. Stattdessen: Gezeter. Schlagzeilen. Kampagnen. Und vor allem: eine Empörung, die weniger mit ihrer Qualifikation zu tun hat, als mit Angst davor, dass eine Frau mit klarem Verstand und Haltung an einem der zentralen Orte unserer Verfassungsordnung mitentscheiden könnte.

Die ehemalige Verfassungsrichterin des Landes Niedersachsen, Professorin für Öffentliches Recht, die aus meiner Sicht eine der klügsten, sachlichsten und integersten Stimmen in der deutschen Rechtswissenschaft ist, wird zur Zielscheibe. Warum? Weil sie sich in ihrer Forschung und in ihren öffentlichen Äußerungen nicht der „Notwendigkeit“ angepasst hat, weichgespülte Konsenssätze zu liefern. Und das reicht. Es reicht, um eine öffentliche Kampagne zu starten, genüsslich zelebriert von Springer. Der Vorwurf: Sie sei „radikal“. Eine Frau, die sich über Jahrzehnte durch komplexeste juristische Gefilde gearbeitet hat, die lehrt, forscht, begründet, nuanciert. Sie sei radikal – weil sie eine Meinung hat.

Wenn eine Frau eine Meinung hat, die nicht weich, nicht dienlich, nicht dekorativ ist, wird sie schnell zur Bedrohung. Diese Mechanismen sind nicht neu, aber sie wirken heute mit neuer Wucht, weil sie auf ein gesellschaftliches Klima treffen, das kippt, wenn es nicht schon unwiederbringlich gekippt ist. Wer für die Liberalisierung bestimmter Strafnormen, Stärkung der Demokratie gegen ihre Feinde und Unterstützung marginalisierter Gruppen ist, gilt scheinbar schon als „extrem“. Und wenn dieser Mensch dann auch noch eine Frau ist, möglicherweise noch dazu eine mit Haltung und ohne Bedürfnis nach männlicher Bestätigung, dann steht sie schnell auf verlorenem Posten.

Frauke Brosius-Gersdorf steht für mich gerade symbolisch für all das, was vielen Frauen begegnet: Die Unverzeihlichkeit, sich zu äußern. Die Unverzeihlichkeit, in Fragen, die als heikel gelten, nicht zu schweigen. Die Unverzeihlichkeit, nicht allen gefallen zu wollen.

Denn seien wir ehrlich: Es geht hier nicht allein um das Bundesverfassungsgericht. Es geht um eine gesellschaftliche Botschaft. Sie lautet: „Wenn ihr Frauen euch einmischt, wenn ihr Haltung zeigt, dann werdet ihr angreifbar. Und wenn wir können, verhindern wir euren Aufstieg.“

In einer Demokratie, die sich gegen autoritäre Tendenzen wappnen sollte, ist das fatal. Denn genau jene klugen, unbeugsamen Stimmen wie die von Brosius-Gersdorf wären jetzt nötig. Stattdessen erleben wir die Rückkehr in Zeiten, in denen es mehr um Verbindungen, das richtige Geschlecht, die richtige soziale Position geht als um Kompetenz und Integrität.

Was mich wütend macht, ist der Umgang mit Frauke Brosius-Gersdorf. Es ist aber auch das Muster dahinter. Die ungleichen Maßstäbe. Die Angst vor weiblicher Autorität. Die Bereitschaft, sich mit anderen, sehr viel radikaleren Positionen ohne großes Zögern zu arrangieren, aber nicht mit einer Juristin, die die Gefahren benennt und sich eindeutig positioniert.

Ein Land, das Verfassungsrichterinnen wie Frauke Brosius-Gersdorf nicht als Gewinn feiert, sondern als Risiko abzuwehren versucht, hat den Kompass verloren. Es ist an der Zeit, ihn neu zu justieren. Nicht nur für sie. Sondern für uns alle.

 

 
 
 

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