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Deutschland spricht...

  • Susanne Beck
  • 28. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Hannover, im Februar 2025.

Der Abend ist kalt, es ist schon lange dunkel. Vier Tage bis zur Wahl.

Die politische Lage ist aufgeheizt, über allem liegt ein Gefühl von Dringlichkeit, von Bedrohung. Ich habe große Angst vor dem Ende unserer Demokratie, jedenfalls der Demokratie, wie wir sie kennen. In den USA nennt sich Trump mittlerweile ironisch „König“, während er das Land in eine Diktatur umwandelt. Die Ukraine steht unter Druck, Europa wankt. Die Zeiten sind schwer.

Ich ziehe meine Jacke enger um mich, als ich das Restaurant betrete. Nehme Loki, meinen kleinen Hund, auf den Arm. Eine italienische Kette, in der Stadtmitte, funktional, aber gemütlich. Mein Gesprächspartner kommt mir an der Tür entgegen. Er reicht mir die Hand, die ich ihm jedoch nicht geben kann, da ich Loki auf dem Arm habe. Mein Gegenüber beachtet ihn nicht. Kein Blick, keine Bemerkung. Ich registriere das.

„Frau Professor“, sagt er zur Begrüßung. Wir siezen uns.

Aus Gewohnheit bestelle ich Penne All‘Arrabiata, das bestelle ich beim Italiener eigentlich immer.

Er hat sich vorbereitet, hat sich Stichpunkte der Ansichten gemacht, die wir vorab eingegeben haben, bei „Deutschland spricht“, ein Projekt, das deutschlandweit Gesprächspartner mit diametral abweichenden Ansichten zusammenführt. Er hat sich notiert, wo wir übereinstimmen, wo wir divergieren. Schuldenbremse, soziale Gerechtigkeit. Wir tasten uns an die Themen heran. Mit der Stimme eines Menschen, der unerschütterlich überzeugt ist, von dem, was er sagt, referiert er ökonomische Fakten. Ich stocke bei einigen Argumenten, komme nicht mit. Wirtschaft ist nicht mein Fachgebiet, aber davon unabhängig – irgendwas liegt mir quer im Kopf. Noch kann ich es nicht benennen.

Wir haben uns zu Beginn nicht gesagt, was wir wählen. Ich mache schnell sehr deutlich, welche Parteien mir Angst machen. Dann, mitten im Gespräch, erfahre ich: Er wählt die AfD. Nicht nur das, er ist Mitglied, engagiert sich. Ich musste noch nie mitten in einem Gespräch so fest schlucken. FDP, CDU, hatte ich erwartet. Nun sitze ich also einem Mitglied der Partei gegenüber, der ich zutraue, unsere  Demokratie zu zerstören. Ich schlucke erneut. Doch ich gehe nicht, ich glaube weiterhin, dass das Gespräch wichtig ist.

Wir argumentieren weiter, er sieht alles einfach nur durch die wirtschaftliche Brille. Die Wirtschaft macht ihm Sorgen. Das kann ich im Ansatz verstehen, wenn auch nicht in den Details, die er nennt – und vor allem nicht bei seinen Lösungswegen.

Dann kommt ein noch größerer Bruch. Wir reden – ich weiß nicht einmal mehr, wie wir darauf gekommen sind – über frühere Gesellschaften, in denen es Sklaven gab. Und seine erste Reaktion ist: Sklavenhaltung würde sich nicht rechnen, wirtschaftlich gesehen.

Für einen Moment steht meine Welt still. Ich spüre, wie sich mein ganzer Körper anspannt. Am Nachbartisch lacht jemand, Gläser klirren, ein Kellner ruft etwas in die Küche. Ich halte die Luft an. Mein Blick fällt auf Loki auf meinem Schoß, sein weißes Fell hebt und senkt sich im Rhythmus seines Atems.

Ich sage etwas, ich weiß nicht mehr was. Aber ich weiß, dass es für mich keine Antwort gibt, die diesen Graben überbrücken kann. Auf seine Weltsicht und sein Menschenbild gibt es keine Antwort. Ich glaube, er versteht nicht einmal, was mich so schockt. Und ab da passiert es immer und immer wieder: Er rechnet etwas vor, ich schüttle den Kopf.

Er bleibt höflich. Immer höflich. Beginnt Sätze mit „Da stimme ich Ihnen zu, aber…“ und lenkt dann um, biegt wieder auf seine Spur ab. Ich spreche von Hoffnung, er spricht von Machbarkeit. Ich erzähle von einer gerechten Gesellschaft, die sich nicht nur nach Rentabilität ausrichtet, er erzählt von wirtschaftlichen Berechnungen. Inspiration, Ideale, Lebensmodelle – all das dringt nicht zu ihm durch.

Natürlich sprechen wir auch über Migration. Ich antworte, bringe mein Fachwissen ins Spiel, erkläre Verzerrungen in Kriminalitätsstatistiken. Ich sehe, dass er nachdenkt. Und doch: Die Grundsätze bleiben unvereinbar.

Fast fünf Stunden diskutieren wir, bis die Kellner die Stühle auf die Tische räumen. Ich weiß nicht, ob das Gespräch etwas bewirkt hat. Überzeugt hat den anderen keiner von uns beiden. Vielleicht hat er sich überlegt, wie er beim nächsten Mal anders argumentiert. Vielleicht habe ich ein wenig besser verstanden, was Menschen wie ihn antreibt. Was uns so klar unterscheidet.

Wir verabschieden uns mit einem Händedruck. „Danke für das Gespräch“, sagt er. Ich nicke. Wir gehen auseinander, jeder in seine Richtung, in seine Welt.

Am nächsten Morgen erfahre ich von einem Post der AfD Hannover, seiner AfD, die er mir als harmlos und menschenfreundlich verkauft hat. Ein Post darüber, dass Olaf Scholz keinen Hofnarren brauche – Anspielung auf einen aktuellen ‚Skandal‘, weil er ein ganzes ‚Kabarett‘ habe. Unter anderem wird ein lokaler SPD-Politiker namentlich genannt – und die AfD bezeichnet diesen Politiker als „bosnischen Clanjungen“, der sich besonders für die AfD-Plakate interessiere. Ein Zwinker-Emoji am Ende, süffisant, höhnisch.

Mein Finger schwebt über der Tastatur. Gern würde ich nach dem Gespräch gestern eigentlich fragen: Und? Ist das die Partei, die Sie mir gestern angepriesen haben? Ist das Ihr Stil?

Aber ich lasse es. Ich ahne, dass er ihn nicht erreichen würde.

Ich schiebe das Telefon weg. Streiche Loki durchs Fell. Draußen ist es noch immer Februar. Noch immer kalt. Die Wahl ist in drei Tagen.


 
 
 

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1 kommentti


Kathrin Lange
29.4.

Ich las neulich einen Artikel darüber, wie sehr der extreme Neoliberalismus der vergangenen 30 Jahre den Rechtsruck befeuert. Die Quintessenz darin: Wenn eine Gesellschaft jahrelang darauf gedrillt wird, jeden Menschen nur nach seinem wirtschaftlichen Wert zu bemessen, dann gehen Stück für Stück die Empathie und das Mitgefühl für den anderen verloren. Die Aussage des Mannes in deinem Text zum Thema Sklaverei zeigt gut, wohin das führt. Krass!

Tykkää
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